Alles begann am Morgen des 11. Juli, als die US-Inflationsdaten für Juni bekanntgegeben wurden. Hier gab es eine Überraschung. Die Konsumentenpreise sind auf Jahressicht nur um 3 Prozent gestiegen. Nach 3,3 Prozent im Mai war das der niedrigste Wert seit März 2021.1 Saisonal bereinigt gingen die Preise sogar um 0,1 Prozent zurück.1 Die erkennbare Disinflation heizte die Erwartungen einer möglichen US-Zinssenkung im September an. Zuletzt lag die Wahrscheinlichkeit dafür bei 92 Prozent. Sogar für die kommende Fed-Sitzung am 31. Juli besteht eine minimale Chance auf den ersten Zinsschritt nach unten.2

Erhebliche Sektorrotation

Eigentlich sind die lange erwarteten Zinssenkungen eine gute Nachricht für Aktien. Doch die Reaktion des Marktes offenbarte, dass es darauf ankommt, von welchen Titeln man spricht. Noch während des 11. Juli kam es zu einer erheblichen Sektorrotation, bei der Anleger:innen beliebte Börse-Giganten wie die Magnificient-7-Technologiewerte  Apple, Nvidia und Tesla verkauften und stattdessen Value- und Nebenwerte ins Portfolio nahmen, die von einer Zinssenkung profitieren könnten.3 Entsprechend deutlich notierte der Technologieindex Nasdaq-100 mit 2,2 Prozent im Minus. Viele der restlichen Werte des S&P 500 abseits der Magnificient 7, mit einem Augenzwinkern als „S&P 493“ bezeichnet, wurden dagegen gekauft. Gut abzulesen war die Rotation anhand des gleichgewichteten S&P 500, der 1,2 Prozent stieg, während das Original 0,9 Prozent fiel. Diese Diskrepanz ist enorm, da beide Indizes identische Aktien beinhalten, nur in unterschiedlicher Gewichtung.

Noch deutlicher war der Unterschied zum Nebenwerteindex Russell 2000, der ganze 3,7 Prozent zulegte. Seit 1979 gab es nur einen anderen Handelstag, den 10. Oktober 2008, an dem der Index mehr als 3 Prozent zulegte, während der S&P 500 zugleich im Minus war.4 Zwischen Russell 2000 und Nasdaq-100 betrug die Differenz deutliche 5,9 Prozentpunkte. Anleger:innen rotierten aus Tech-Werten in Aktien kleinerer Unternehmen und Sektoren wie Finanzwerte, Immobilien und Versorger5(Blockbeitrag: Energie und KI). Das lässt sich damit erklären, dass Small Caps und Firmen mit höheren Schulden von Zinssenkungen profitieren könnten. Solche Titel sind im Russell 2000 stärker vertreten als im S&P 500. Zudem sind die Schulden kleinerer Unternehmen häufiger variabel verzinst als fix, sodass niedrigere Zinsen unmittelbare Vorteile bieten können.6

Die Kursanstiege im Russell 2000 setzten sich in der Folge weiter fort, während es bei den Kurse von Technologiewerten weitere Rücksetzer gab. So liegt der Nasdaq 100 mittlerweile 8,9% unter seinem Schlusskurs vom 10. Juli, während das Börsenschwergewicht Nvidia sogar 14,8% im selben Zeitraum nachgab. Auch in Europa blieb beispielsweise das Tech-Schwergewicht ASML nicht von Kursverlusten verschont und büßte seitdem sogar mehr als 20% von seinem Börsenwert ein. Der Russell 2000 lag hingegen mit 8,4% im plus. (Stand: Schlusskurse vom 25.07.2024)

Durch den marktbreiten Anstieg verbesserte sich auch die vielbeachtete Advance/Decline-Linie . Dieser Trendindikator gibt Auskunft, wie sich das Verhältnis von gestiegenen Aktien (Advancers) zu gefallenen Aktien (Decliners) innerhalb eines Index im Zeitverlauf entwickelt. Für den S&P 500 markierte der Indikator neue Hochs, nachdem er sich zuvor zwei Monate lang entgegengesetzt zum steigenden Index entwickelte.7 Marktteilnehmer:innen interpretieren das in der Regel als Zeichen für die Gesundheit des Aktienmarktes.8 Mehr als 350 Titel im S&P 500 legten in der Woche nach den Inflationszahlen zu. Allerdings notierte der Index aufgrund der hohen Gewichtung der großen Tech-Werte trotzdem im Minus.9 Das verdeutlicht die starke Konzentration. Allein die Top 10 Werte im S&P 500 machten zuletzt mehr als ein Drittel des Indexgewichts aus.10 Die Börsenrallye der letzten Monate hatte sich immer stärker auf eine kleine Gruppe an Megacap-Werten fokussiert.11 Das machte es aktiven Fondsmanagern besonders schwer, ihre Vergleichsindizes zu schlagen.9

 

Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.

Die Rotation könnte weiter anhalten

Nun stellt sich die Frage, ob die plötzliche Rotation eine Eintagsfliege war oder ob mehr dahinter steckt. Für letzteres spricht, dass ein erheblicher Stimmungsumschwung unter Anleger:innen zu beobachten war. Nicholas Colas von DataTrek Research zufolge haben die Märkte das seit mindestens 1990 nicht mehr erlebt.12 Sollten die Kapitalströme anhalten, könnten sie die kleineren Aktien schnell in Schwung bringen. Denn der gesamte Russell 2000 hat nur eine Marktkapitalisierung, die geringer ist als die von Apple. Und während der S&P 500 das ganze Jahr über Rekordhöhen erreicht hat, liegt der Russell 2000 noch unter seinem Hoch vom November 2021.13 Das Verhältnis der beiden Indizes ist heute auf einem Niveau, das seit der Dotcom-Blase nicht mehr erreicht wurde.6 Gleichzeitig scheint sich das Gewinnwachstum der Börse-Giganten (der Megacap-Technologiewerte) zu verlangsamen, während die Gewinne vieler anderer Unternehmen relativ betrachtet stärker steigen.9 In der aktuellen Berichtssaison erwarten Expert:innen für den Russell 2000 im Mittel ein Gewinnplus von 18 Prozent nach fünf von Gewinnrückgängen geprägten Quartalen. Für die Unternehmen des S&P 500 ist es gerade einmal die Hälfte. Bis 2026 sollen die jährlichen Gewinne der Nebenwerte im Schnitt sogar mehr als doppelt so stark steigen wie die der Blue Chips.14 Auch in Bezug auf die US-Politik könnten Small Caps im Vorteil sein. Es wird erwartet, dass sie am meisten von möglichen Steuer- und Handelseffekten einer potenziellen Trump-Regierung profitieren bzw. am wenigsten davon beeinträchtigt würden.6

Global betrachtet haben kleinere Aktien ebenfalls Aufholpotenzial. So legte der MSCI World auf 5-Jahres-Sicht durchschnittlich 13,3 Prozent zu, der MSCI World Small Cap dagegen nur 9 Prozent. Der langfristige Vergleich ist genau umgekehrt. Seit den 2000er Jahren lag die durchschnittliche jährliche Rendite des MSCI World Small Cap etwa 2 Prozent über seinem Large-Cap-Pendant.15 Und auch in Europa hingen Nebenwerte in den letzten Jahren hinterher. So gab der STOXX 200 Small seit seinem Hoch Mitte November 2021 inklusive Dividenden um 10 Prozent nach und lag damit 32 Prozentpunkte unter den Standardwerten des STOXX 200 Large. Zu den Gründen zählen der konjunktursensitive Charakter und die schwächeren Bilanzen der Nebenwerte. Zuletzt waren sie mit einem Kurs/Gewinn-Verhältnis von 12,7 etwa 7 Prozent günstiger bewertet als Standardtitel.16

 

Was gegen eine Fortsetzung der Rotation spricht

Allerdings ist es keine ausgemachte Sache, dass die Rotation tatsächlich anhält. Einige Marktteilnehmer:innen argumentieren, dass die heftigen Marktbewegungen auch darauf zurückzuführen sind, dass manche Portfolios auf dem falschen Fuß erwischt wurden und Leerverkaufspositionen eingedeckt werden mussten.9 Infolge der Bereinigung könnte die angestoßene Rotation im Sande verlaufen. Dafür spricht, dass sich die Dynamik in den letzten Tagen abkühlte und erste Gegenbewegungen auftraten. Zudem ist das erwartete Szenario der Zinssenkung nicht sicher. Manche Expert:innen gehen davon aus, dass sich die Dynamik der Inflationsbekämpfung bereits verlangsamt hat, was eine Lockerung vor allem der US-Zinsen weiter verzögern könnte.17 Dabei ist das Gleichgewicht, das kleinere Aktien brauchen, um weiter zu steigen, empfindlich. Einerseits wären Zinssenkungen gut, aber andererseits darf kein großer wirtschaftlicher Abschwung eintreten, der die Gewinne beeinträchtigt.9 Die Magnificient 7 sind dank überwiegend großer Cash-Bestände weitaus robuster und können bei hohen Zinsen sogar zusätzliche Kapitalerträge generieren.18 Small Caps sind oft stärker fremdfinanziert und dies meist zu schlechteren Konditionen. Zudem sind sie mehr von der Konjunktur abhängig als die Giganten. Deshalb gilt es bei Small Caps umso mehr, die einzelnen Unternehmen fundamental genau zu analysieren.15

Ausblick

Aktuell ist es fraglich, ob die Dynamik an den Märkten nachhaltig dreht. Der 11. Juli und die darauffolgenden Tage könnten nur eine Korrektur bzw. ein Durchatmen gewesen sein. Neben Spekulationen über künftige Zinssenkungen darf man auch nicht vergessen, dass es am Ende darauf ankommt, wie gut oder schlecht die Wirtschaft läuft.19 Dafür könnte die laufende Berichtssaison zum 2. Quartal Aufschluss geben. Bei den heißen Aktien der letzten Monate und Jahre wie NVIDIA ist es durchaus möglich, dass zu hohe künftige Gewinnerwartungen eingepreist sind, die früher oder später nach unten korrigiert werden müssen. Die Rotation könnte also aus zwei Gründen weitergehen: Entweder, weil Tech-Aktien zu hoch bewertet sind, oder weil alle anderen zu günstig sind. Aus dieser Situation könnten sich interessante Chancen ergeben.18 Anleger:innen sollten also aufmerksam sein. Vielleicht sind die führenden Aktien in den kommenden Monaten ganz andere, als man es bislang gewohnt war.

Hinweis: Eine Veranlagung in Wertpapiere birgt neben den geschilderten Chancen auch Risiken. Ein Kapitalverlust bis hin zum Totalverlust ist möglich.

1Quelle: U.S. Bureau of Labor Statistics; Stand: 11. Juli 2024
2Quelle: CME Group; Stand: 22. Juli 2024
3Quelle: Finanzmarktwelt.de; Stand: 12. Juli 2024
4Quelle: Bespoke Investment Group; Stand: 11. Juli 2024
5Quelle: Morningstar; Stand: 21. Juli 2024
6Quelle: Sherwood News; Stand: 17. Juli 2024
7Quelle: MarketInOut.com; Stand: 22. Juli 2024
8Quelle: Schaeffer's Investment Research; Stand: 17. Juli 2024
9Quelle: Financial Times; Stand: 19. Juli 2024
10Quelle: Investopedia; Stand: 1. Juli 2024
11Quelle: Morningstar; Stand: 17. Juli 2024
12Quelle:MarketWatch; Stand: 17. Juli 2024
13Quelle: Reuters; Stand: 18. Juli 2024

14Quelle: Deutsche Bank Perspektiven am Morgen; Stand: 18. Juli 2024
15Quelle: Capital.de; Stand: 21. Juni 2024
16Quelle: Deutsche Bank Perspektiven am Morgen; Stand: 26. Juni 2024
17Quelle: Reuters; Stand: 16. Juli 2024
18Quelle: Forbes; Stand: 18. Juli 2024
19Quelle: Markus Koch Wall Street; Stand: 11. Juli 2024

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Stand: Juli 2024

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