Die Ereignisse warfen ihren Schatten voraus. Aber dass es so dramatisch wird, hatten wohl die Wenigsten erwartet. Dabei hatte die japanische Notenbank Ende Juli nur wie erwartet den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte erhöht.1 Doch am Donnerstag, den 1. und Freitag, den 2. August gerieten die Kurse daraufhin weltweit unter Druck.

Carry Trades als Ursache

Als Ursache sehen Expert:innen die teilweise Rückabwicklung riesiger Carry-Trades. Dabei versuchen Anleger:innen, von Zinsdifferenzen zwischen Währungen zu profitieren. Von Anfang 2022 bis Mitte 2024 hatte das bestens funktioniert. Der japanische Yen wies extrem niedrige Renditen auf, was ihn zur perfekten Finanzierungswährung machte. Hinzu kam, dass er gegenüber der häufigen Anlagewährung US-Dollar schnell abwertete.2 Doch dieses Umfeld konnte nicht für immer anhalten.

Infolge der Zinserhöhung sowie schwacher US-Arbeitsmarktdaten wertete der japanische Yen plötzlich massiv auf. Das brachte die Carry Trades zunehmend in Schieflage. Einige Marktteilnehmer:innen mussten ihre Assets, die sie mit geliehenen Yen gekauft hatten, auf den Markt werfen. Das befeuerte die Bewegung zusätzlich und sorgte dafür, dass sich die Verwerfungen auch auf den Aktienmarkt ausweiteten. Demnach lösten technische Ursachen, nicht gravierende Wirtschaftsnachrichten, den Crash aus.3

Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.

Plötzliche Panik

Über das Wochenende zum Montag, den 5. August, entstand Panik. Am heftigsten traf es den asiatischen Markt selbst. Der japanische Nikkei stürzte um 12,4 Prozent ab. Das war der zweitgrößte prozentuale Verlust seit dem historischen Crash im Oktober 1987. Einige Marktbeobachter:innen sprachen aufgrund der Tatsache, dass der Markt mehr als 20 Prozent vom Allzeithoch abstürzte, bereits von einem beginnenden Bärenmarkt.4

Die Panik übertrug sich auf die Märkte in Europa und den USA. Befürchtungen über die Gesundheit der US-Wirtschaft bekamen plötzlich wieder Auftrieb. Jeder Sektor des S&P 500 gab um mindestens 1,7 Prozent nach. Technologiewerte verzeichneten mit einem Rückgang von 3,8 Prozent die größten Verluste.5

Extreme Volatilitätsspitze

Die plötzliche Panik führte zu einem dramatischen Anstieg der Volatilität. Das war anhand des VIX, des weltweit wohl am häufigsten verfolgten Volatilitätsindex, gut zu erkennen. Er ist ein Maß für die erwartete 30-Tage-Volatilität des S&P 500. Die Berechnung basiert auf Echtzeitkursen verschiedener Call- und Put-Optionen auf den Index.6 Aus diesen wird die vom Markt erwartete Schwankungsbreite (implizite Volatilität) ermittelt. Ausgehend vom Schlusskurs am Freitag stieg der VIX im frühen Handel um rund 180 Prozent auf fast 66 Punkte. Das war der höchste Stand seit Beginn der Coronakrise im März 2020. Damals erreichte der VIX einen Höchstwert über 85 Punkten.6 Diesmal kam praktisch über Nacht die gesamte „Risk-Off“-Maschinerie eines typischen Crashs in Gang.5

Doch so schnell, wie der Einbruch kam, war er auch wieder vorbei. Anleger:innen nutzten den Rücksetzer als Kaufgelegenheit.7 In den folgenden Tagen erholten sich die Aktienmärkte weiter, die Volatilität normalisierte sich. Expert:innen äußerten sich skeptisch über das VIX-Extrem. Der Marktstress werde durch den Volatilitätsindex überbewertet, der kurzfristig durch die Eindeckung von Leerverkäufen und mangelnde Liquidität befeuert wird.8 Studien zur Volatilitätsrisikoprämie bestätigen das. Demnach überschätzt der VIX die tatsächlich realisierte Volatilität des S&P 500 im Mittel um rund 4,1 Prozentpunkte.9

Das „Angstbarometer“

Historisch betrachtet ist der VIX ein Kind des globalen Aktiencrashs von 1987. Dieser hatte damals für Angst und Schrecken unter Anleger:innen gesorgt. Einer Rückrechnung zufolge wäre der VIX am Schwarzen Montag, dem 19. Oktober 1987, um unglaubliche 316 Prozent gestiegen.10 Doch entwickelt wurde er erst später. Man suchte Möglichkeiten, die am Markt erwartete Volatilität besser zu quantifizieren. Der ursprüngliche VIX wurde im Jahr 1993 von der Terminbörse CBOE eingeführt und basierte auf Optionen auf den S&P 100 Index. Seit 2004 liegen Optionen auf den S&P 500 zugrunde.11 Aufgrund der Popularität des VIX wurden weltweit ähnliche Indizes entwickelt, zum Beispiel der VSTOXX in Europa, der VFTSE in Großbritannien sowie der VDAX-NEW in Deutschland.12

Da der VIX die Erwartungen der Marktteilnehmer:innen für die Volatilität am US-Aktienmarkt in den nächsten 30 Tagen abbildet, wird er auch als „Angstbarometer“ bezeichnet. Allerdings stellen einige Expert:innen in Frage, ob das angemessen ist. Zum einen ist der VIX angesichts von Verzerrungen möglicherweise nicht immer in der Lage, realistische Werte für die erwartete Volatilität abzubilden.12 Derartige Zweifel gab es auch infolge der jüngsten Explosion der Volatilität. Diese wurde durch einen Abbau gehebelter Positionen ausgelöst, nicht durch den Zusammenbruch des Vertrauens in die Wirtschaft.13 Zum anderen könnte der VIX ebenso ein „Chancenbarometer“ sein. Schließlich ist es mit Derivaten, die den Index als Basiswert verwenden, möglich, sich gegen einen Anstieg der Volatilität abzusichern oder sogar davon zu profitieren.12 Der VIX selbst ist dagegen nicht handelbar.

Hinweis: Die Entwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für zukünftige Entwicklungen.

Umgekehrte Denkweise

Doch auch ohne Derivate können sich Anleger:innen den VIX zunutze machen. Der Studie „Abnormal Stock Market Returns around Peaks in VIX“ zufolge neigt der Markt dazu, bei schlechten Nachrichten zu überreagieren und hohe Kursverluste und Volatilität auszulösen, die anschließend wieder korrigiert werden. Auf die VIX-Hochs folgten deshalb im Mittel überdurchschnittliche Renditen am Aktienmarkt.14 Anleger:innen könnten in so einem Marktumfeld also überlegen, ob sie turbulente Phasen zum Einstieg nutzen oder auf Panikverkäufe verzichten. Letztlich ist das nichts anderes als das, was Börsenlegende Warren Buffett schon lange predigt: „Sei gierig, wenn andere ängstlich sind“ (und umgekehrt).

Der Effekt überdurchschnittlicher Renditen infolge hoher VIX-Werte wurde in weiteren Studien bestätigt. Aus dem Paper „Do not Fear the Fear Index“ geht hervor, dass extreme Sprünge im VIX mit signifikant positiven Renditen in Zeiträumen von 9 bis 24 Monaten einhergehen. Ähnlich sind die Ergebnisse für den VSTOXX in Europa und den VFTSE in Großbritannien für Haltedauern von 1 bis 5 Jahren. Phasen hoher Volatilität bieten aktiven Anleger:innen also durchaus Chancen. Eine naheliegende Erklärung der Forscher für den Zusammenhang ist, dass starke Anstiege der Volatilität nicht selten eine unterstützende Reaktion der Geldpolitik nach sich ziehen.12 Natürlich ist anzumerken, dass Studien, die sich mit vergangenen Wertentwicklungen beschäftigen, nie garantierte Rückschlüsse auf die künftige Entwicklung von Finanzinstrumenten zulassen. Die Volatilität ist in Krisenzeiten erwiesenermaßen höher. Damit bieten Veranlagungen in solchen Zeiten nicht nur höhere Chancen, sondern bergen auch ein erhöhtes Risiko, da niemand mit Gewissheit einschätzen kann, wie lange die jeweiligen Krisen dauern und ab wann sich Märkte wieder erholen.

Volatilität und Wirtschaft

Umgekehrt ist eine niedrige Volatilität aber kein Indiz für einen bevorstehenden Crash. Zwar versuchen sich Marktteilnehmer:innen immer wieder mit solchen Prognosen. Doch dabei unterschätzen sie die Beständigkeit eines etablierten Regimes niedriger Volatilität, das auf einen intakten Bullenmarkt hinweist. Nennenswerte Einbrüche passieren eher selten. Das verdeutlicht der Verlauf des VIX schon rein visuell. Zudem nehmen auch längere Phasen erhöhter Volatilität, die auf einen Bärenmarkt hinweisen, eher kürzere Zeiträume ein.14

Langfristig besteht aber ein Zusammenhang niedriger Volatilität mit darauffolgenden Krisen. Zu diesem Ergebnis kommt das Paper „Volatility and Financial Crises“ auf Basis umfangreicher Daten für 60 Länder und bis zu 211 Jahre. Die Forscher schreiben, dass in längeren, ruhigen Phasen das Kreditvolumen steigt, da Investor:innen und Banken bereit sind, höhere Risiken einzugehen. Gleichzeitig steigen damit aber auch der Hebel und die Fragilität im Wirtschaftssystem, was die Wahrscheinlichkeit neuer Krisen erhöht. Man könnte also paradoxerweise sagen, dass Stabilität früher oder später destabilisierend wirkt.15

Ausblick

Drei Wochen nach dem Crash sieht es am Aktienmarkt per Saldo so aus, als wäre nichts geschehen. Die großen Indizes notieren wieder nahe ihrer Allzeithochs und der VIX steht so niedrig wie in den Wochen zuvor. War die Panik also nur ein Intermezzo? Das bleibt abzuwarten. Einigen Beobachter:innen zufolge blieben die Märkte in der Vergangenheit mitunter über Monate nervös, nachdem der VIX derart deutlich gestiegen war.16

Der Crash könnte also eine Warnung an Anleger:innen sein, nach 15 Jahren Bullenmarkt vorsichtiger zu werden. Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten ist auch das eine oder andere „Nachbeben“ denkbar. Nur, weil die Volatilität wieder niedrig ist, heißt das nicht, dass die Risiken verschwunden sind. Sie sind momentan einfach nur weniger offensichtlich.

Hinweis: Eine Veranlagung in Wertpapiere birgt neben den geschilderten Chancen auch Risiken. Ein Kapitalverlust bis hin zum Totalverlust ist möglich.

1Quelle: BBC; Stand: 31. Juli 2024
2Quelle: Axios Markets; Stand: 8. August 2024
3Quelle: Quantex Anlegerbrief; Stand: 8. August 2024
4Quelle: CNBC; Stand: 5. August 2024
5Quelle: Investopedia; Stand: 5. August 2024
6Quelle: CBOE; Stand: 21. August 2024
7Quelle: Axios Markets; Stand: 7. August 2024
8Quelle: Bloomberg; Stand: 9. August 2024
9Quelle: CFA Institute; Stand: 31. Juli 2024
10Quelle:: Valentine, W. (2017), Is Short Volatility a "Crowded Trade"?; Stand: August 2017

11Quelle: CFA Institute Research Foundation; Stand: 7. August 2020
12Quelle: Chandorkar, P. / Brzeszczyński, J. (2022), Do not Fear the Fear Index: Evidence from the  US, UK and European Markets; Stand: 14. Dezember 2022
13Quelle: Bloomberg; Stand: 12. August 2024
14Quelle: Zakamulin, V. (2016), Abnormal Stock Market Returns around Peaks in VIX: The            Evidence  of Investor Overreaction?; Stand: 1. Mai 2016
15Quelle: Danielsson, J. / Valenzuela, M. / Zer, I. (2016), Learning from History: Volatility and          Financial Crises; Stand: Oktober 2016
16Quelle: Reuters; Stand: 13. August 2024

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Stand: August 2024

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